sola fide

Predigtreihe

Liebe Gemeinde,

manchmal beginnt etwas Großes ganz klein, im Verborgenen, ganz unspektakulär. Im Stillen. Bei Martin Luther begann es damit, dass er die Bibel gelesen hat. Das ist ja für einen Theologen, besonders für einen Theologieprofessor erst einmal nichts außergewöhnliches. Aber Martin Luther hat die Bibel sehr genau gelesen, er hat sich nicht nur die gängigen lateinischen Übersetzungen angeschaut, sondern auch den hebräischen und griechischen Urtext. Und er hat nicht nur geschaut, was sagt die kirchliche Tradition zu dem Bibeltext, sondern sich auch seine eigenen Gedanken gemacht. In dieser Hinsicht war Martin Luther ein moderner Mensch, in seiner Zeit endet eine große Epoche: das Mittelalter endet und die sogenannte Neuzeit beginnt. Und die neue Zeit, die beginnt eben damit, dass man sich eigenen Gedanken macht und nicht mehr alles glaubt, was Tradition, Kirche oder Kaiser sagen.

Dieser Martin Luther hat alles eben sehr genau wissen wollen. Mit „das ist halt so, das war schon immer so“, hat er sich nicht zufrieden gegeben. Er wollte wirklich wissen, wie das ist mit Gott, mit Jesus Christus, mit dem Glauben, mit dem Himmel und der Hölle. Er hat deswegen die Bibel sehr genau studiert, denn die Frage, was man tun muss um in den Himmel zu kommen, die hat Martin Luther umgetrieben. Schon früh in Kindheit und Jugendalter mit dem Tod von Freunden und Studienkollegen konfrontiert, wollte er, wenn es einmal bei ihm so weit sein sollte, auf der sicheren Seite sein. Er wollte es Gott recht machen und sich seinen Platz im Himmel verdienen durch gute Werke und ein gottesfürchtiges Leben.


Sich an die Gebote halten und gute Werke tun, das ist aber nicht so leicht, wie es klingt. Zumindest, wenn man es genau nimmt. Wenn ich mit den Konfirmanden die 10 Gebote bespreche, dann gibt es immer welche, die sind der Meinung, sie halten sich im Großen und Ganzen an die Gebote. „Ich glaub an Gott und ich hab schließlich noch keinen umgebracht und klauen tu ich auch nix.“ ist deren Aussage. Andere wiederum schauen sich die Gebote genau an und sagen, das ist wirklich schwer, die einzuhalten. Allein schon das erste Gebot "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir" - das hat es in sich. Ist uns Gott wirklich das Höchste und Wichtigste im Leben? Was ist, wenn ich Gott nicht mehr liebe als anderes? Was, wenn mir anderes und andere wichtiger sind? Und auch die anderen Gebote wie „Du sollst den Feiertag heiligen, du sollst nicht begehren, was dein Nächster hat…“ gar nicht so einfach das alles einzuhalten. Eigentlich gar nicht zu schaffen, wenn man es genau nimmt und wirklich ehrlich ist. Martin Luther hat sich damit abgequält die Gebote zu halten und es Gott recht zu machen.

Viele andere Menschen seiner Zeit, die haben gesagt, Mensch Martin, übertreib es nicht. Und wenn man mal sündigt, dann kann man es doch wieder beichten. Aber Martin Luther kann Sünden nicht auf die leichte Schulter nehmen, er will es Gott wirklich recht machen. Er will genau wissen, was er tun muss, damit er wirklich in den Himmel kommt, er will ein guter und gerechter Mensch sein. Und deswegen ist er schier verzweifelt als er damals im Jahr 1515 den Römerbrief gelesen hat und da gleich im 1. Kapitel auf den Satz gestoßen ist: Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbart. Für Luther bedeutete das erst einmal, die furchtbare Gerechtigkeit Gottes, vor der er am Ende doch nicht bestehen kann, die steckt auch noch im Evangelium, in der frohen Botschaft. Muss denn Gott durch das Evangelium den Schmerzen noch Schmerzen hinzufügen und uns jetzt auch im Evangelium seine Gerechtigkeit und seinen Zorn androhen?“ schreibt er ganz niedergeschlagen auf - aber dann bemerkt Luther im Grübeln über diese Worte noch den nächsten Satz: Der Gerechte wird aus Glauben leben. Der Gerechte wird aus Glauben leben. Und da fällt es Luther plötzlich wie Schuppen von den Augen:


Gott spricht uns gerecht. Er rechnet uns unsere Sünden um Christi willen nicht an. Er spricht uns frei. Das geschieht als Geschenk an uns durch den Glauben.

So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben, schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom und Luther entdeckt beim Lesen des Römerbriefes dieses Geschenk Gottes an uns wieder.

Der Glaube allein genügt, stellte Martin Luther ganz verwundert fest. Und je mehr er darüber nachdachte, umso sicherer und begeisterter wurde er. Der Mensch kann sich den Himmel gar nicht verdienen. Bei Gott gibt es kein: du musst dies und du musst das. Der Mensch wird gerecht allein aus Glauben. Allein aus Glauben - sola fide. Das genügt. Das genügt wirklich. Wir können und müssen uns den Himmel nicht verdienen. Durch den Glauben an Jesus Christus wird der Mensch vor Gott gerecht. „Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhms, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist.“ - Der Mensch wird gerecht ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.


Allein durch den Glauben. Für Luther war das die Lebenswende. Vorher war er sich nie sicher, was Gott denn noch alles will, ob es passt, wenn er fastet und betet und fromm und gottesfürchtig lebt, vielleicht sollte er ja noch mehr machen. Er war immer unsicher, obwohl er es mit dem Fasten sehr genau nahm, täglich mehrmals betete und trotzdem waren da immer noch manchmal böse Gedanken. Er war immer noch nicht der, der er sein sollte.

Aber jetzt nach dem Lesen des Römerbriefes fühlt er sich wie befreit. Er ist sich jetzt sicher: Allein aus Glauben an Jesus Christus sind wir gerettet. Im Vertrauen auf Gottes Gnade dürfen wir befreit leben. Gott ist kein strafender rachsüchtiger Gott, der uns Menschen in die Hölle schicken will, sondern einer, der uns retten will, der uns gerecht spricht und uns in Gnaden aufnimmt. Wir haben einen Gott, der uns im Himmel haben will, nicht in der Hölle. Für Martin Luther war damit plötzlich ein jahrelanger Druck weg, nun konnte er aufatmen, nun hatte er keine Angst mehr vor Tod und Teufel, nun war ihm durch den Glauben Gottes Gnade gewiss.

Nicht nur Martin Luther ließ diese Erkenntnis aufatmen, auch seine Umwelt: Die Studenten seiner Vorlesungen, die Predigthörer, die Leser seiner Schriften. Die Nachricht, dass man sich nicht Abquälen muss, dass man keinen Ablass braucht, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Binnen weniger Jahre hatte Luther überall Anhänger für seine Lehren, Deutschland war mehrheitlich evangelisch geworden.


Nun ist das alles 500 Jahre her und heute hat kaum noch ein Mensch ständig das Höllenfeuer vor Augen, wenn er an sein Ende denkt. Dass wir trotz aller Fehler und Sünden in unserem Leben mit Gottes gnädigem Erbarmen rechnen können, das hat sich inzwischen herumgesprochen. Dass das so ist, liegt auch an den Ereignissen vor 500 Jahren, die mit dem Lesen der Bibel ihren Anfang nahmen. Unser Glaubens- und Gottesbild hat sich seitdem stark verändert, das liegt vor allem auch daran, dass sich die Kirche so stark verändert hat. Die wirklich große Macht der mittelalterlichen katholischen Kirche kam durch die Reformation ins Wanken. Es gibt seitdem keine so allmächtige Kirche mehr: Die Kirche hat keine absolute Macht über den einzelnen Menschen mehr, sie kann keinem mehr sagen, was allein richtig ist und was nicht. Heute kann jeder selbst in der Bibel nachlesen und sich seine eigenen Gedanken über den Glauben machen, dass das so ist, ist auch ein Erbe der Reformation. Die Kirche kann heute nicht mehr wie vor 500 Jahren über das Leben von Menschen entscheiden. Gottseidank. Diesen Wandel hat Martin Luther eingeleitet und er hatte mächtige Unterstützer wie den Kurfürst von Sachsen, sonst hätte er seine revolutionäre Erkenntnis, dass der Mensch allein auch Glauben gerecht wird und sich den Himmel nicht verdienen kann, schon gar nicht indem er sich einen Ablassbrief für seine Sünden kauft, wohl mit dem Tod bezahlt. Aber weil viele ihre schützende Hand über diesen Wittenberger Mönch gelegt haben, setzte sich die revolutionäre Erkenntnis „allein aus Glauben“ durch.


„Sola fide“ - allein aus Glauben gerecht - was hat mir das heute zu sagen? In Glaubensdingen bin ich frei. Ich muss nichts. Ich muss mir den Himmel nicht verdienen. Ich muss nicht jeden schlechten Gedanken beichten, ich muss nicht ständig gute Werke tun oder jeden Sonntag in den Gottesdienst gehen, ich kann auch mal ausschlafen und selbst zu Gott beten.

Das ist evangelische Freiheit. Kein Muss, kein Zwang. Das heißt nun nicht, dass es egal ist, was ich tue. Das ist es ganz und gar nicht. Denn der Glaube an diesen liebenden Gott verändert Menschen. Martin Luther hat da das schöne Bild vom Ofen, der einen wärmt auf unseren Glauben übertragen: durchwärmt von der Liebe Gottes werden wir unser Leben auf Gott hin ausrichten und gute Werke tun wollen. Weil wir etwas von Gottes Liebe weitergeben wollen, tun wir Gutes. Weil wir wollen, nicht weil wir müssen.


Gott schenkt uns Freiheit. Aber auch Freiheit gegenüber den Anforderungen dieser Welt. Wer an Gott glaubt und sich von ihm angenommen weiß, der weiß dass man sich mit Leistung eben nicht nur den Himmel nicht verdienen kann, sondern auch nicht sein Lebensglück. Ein schönes Auto, sein schönes Haus, ein hohes Gehalt – alles schön und gut, aber eben noch lange nicht der Himmel auf Erden. Im Gegenteil, wer sich nur auf Geld und Gut verlässt, der kann auch unglücklich werden. Vielleicht kennen Sie die italienische Modemarke Gucci. Die Tochter des Firmengründers Patricia Gucci hat neulich in einem Interview gesagt, dass das ganze Geld ihre Familie kaputt gemacht hat. Ihre Mutter, die aus ärmlichen Verhältnissen stammte, hat der ganze Reichtum nur unsicher gemacht. Sie konnte die tollen Urlaube nie genießen. Sie war nie wirklich froh. Das viele Geld hat nur viel Streit und Hass gebracht und die Familie letztlich zerstört.


Was macht wirklich froh, was macht uns zufrieden, was lässt uns nachts gut schlafen? Martin Luther hätte jetzt gesagt: sola fide. Allein der Glaube an einen uns liebenden und gnädigen Gott schafft ein frohes Herz und ein ruhiges Gewissen. Wenn ich mich in Gott geborgen weiß, dann wird es gut sowohl in meinem Leben wie in meinem Sterben.

Amen.